Bei der Suche nach neuen Lösungen für zukunftsweisendes Bauen treiben die Gedankenspiele manches Entwicklers Blüten, die beim Laien manchmal zur Verwunderung führen. An der Universität Stuttgart verschafft sich derzeit unter anderem das Institut für Tragekonstruktion und Konstruktives Entwerfen (ITKE) medienwirksam Gehör. Dort hat man nun in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen Tecnaro einen recht neuen Weg beschritten. Die Fassade eines 140 Quadratmeter großen Hauses besteht im aktuellen Projekt aus einem Biokunststoff. Diese Fassade wiederum besteht aus fast 400 pyramidenförmigen Werkstoff-Teilen, bei denen ein sogenanntes Kunststoffgranulat zum Einsatz kommt.
Werkstoff verbindet viele wichtige Eigenschaften
Die Angst, dass sich das verwendete Material möglicherweise vorzeitig zerfallen könnte, nimmt der Tecnaro-Projektmanager Michael Schweizer den Interessenten. Ein solcher Verfall sei generell nicht zu befürchten. Technisch sei dies zwar möglich, allerdings nur bei Verwendung einer Kompostieranlage, wie sie in der Industrie gebräuchlich ist. Entwickelt wurde ein Material, das zu immerhin 90 Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen besteht und komplett kompostiert werden kann. Anders als bei vielen alternativen Komponenten wird der Werkstoff ganz ohne Erdöl hergestellt.
Ein derartiges Material, das vollständig in den Kompost „wandern“ kann, ist ein Novum in der Industrie und ein gänzlich neuer Ansatz für die Baubranche, die immer neue Ansätze sucht. Bis dato setzten Hersteller vor allem bei der Verpackungsfertigung auf Biokunststoffe, wenngleich es sich nun um eine andere Art Kunststoff handelt. Dieser musste zunächst an die speziellen Bedingungen angepasst und vor allem witterungsbeständig gemacht werden. Zudem ist der Biokunststoff, der an der Stuttgarter Uni entwickelt wurde, sehr schwer entflammbar – ein weiterer Unterschied zu vielen Verpackungsmaterialien auf Basis von Biokunststoff.
Auszeichnung pünktlich zur Einweihung des Projekt-Hauses
Michael Schweizer hebt hervor, dass es sich beim innovativen Material um das erste mit einer derart vorbildlichen ökologischen Verträglichkeit handelt. Weiterhin lässt sich das Granulat beliebig formen und zeichnet sich auch sonst durch eine hohe Flexibilität aus. Selbst Freiformflächen von Gebäuden können bestückt werden, sogar in dreidimensionaler Form. Überreste können recycelt und für andere Arbeiten weitergenutzt werden. Durch den – übrigens auch im Innenbereich einsetzbaren – Biokunststoff könnte langfristig vom Material Zement Abschied genommen werden, wie der Institutsdirektor Jan Kippers während der Feier zur Einweihung des Gebäudes betonte. Neben den Wissenschaftlern und den Partnern aus der Wirtschaft waren zugleich Studenten aktiv in die Entwicklungsarbeit involviert.
Die Mühen der Experten haben sich schon jetzt zumindest in puncto Renommee gelohnt. Idee und Konzept wurden im Wissensschafts-Bereich im Rahmen des Wettbewerbs „Ausgezeichnete Orte im Land der Ideen“ prämiert. Unter 1.000 Bewerbern gab es 14 Preisträger im Rahmen der Initiative, die seit 2005 unter Schirmherrschaft von Bundesregierung und Bundesverband der Deutschen Industrie existiert. Zu sehen ist die Bio-Pyramidenfassade auf dem Campus der Stuttgarter Universität.
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